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Gegensätze
Reflexionen von und zu Alex Lebus

von Carolin Quermann, Kustodin Städtische Galerie Dresden

 

Alex Lebus hat ihr künstlerisches Hauptthema schon lange gefunden. Dies ist keinesfalls der Spiegel, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre, da er von der Künstlerin so häufig als bildnerisches Material genutzt wird. Die Spiegelungen sind jedoch kein Selbstzweck, sondern dienen ihr nur als Mittel zum Zweck, um eine dahinter liegende Fragestellung ästhetisch – quasi glasklar – zu formulieren. Im Kern geht es ihr jedoch um das große Thema der Inversion, der Umkehrung. Es ist die Lust am Widerspruch, an der Verkehrung der Dinge, an Ambivalenzen und ihrer Enttarnung, die Alex Lebus umtreibt.

Dass sie dafür Spiegel verwendet, liegt nahe. Deren doppelgesichtiges Wesen gaukelt uns vor, sie würden objektiv und in Echtzeit reflektieren, was vor ihnen sei. Dienen sie nicht aus diesen Gründen der Selbsterkenntnis und kritischen Selbstbetrachtung? Hinterrücks vertauschen Spiegel jedoch die Seiten, sodass sie das Gespiegelte bis zur Unkenntlichkeit verfremden können. Wir Menschen merken dies kaum, da unser Körper vergleichsweise symmetrisch angelegt ist – aber schon bei der Spiegelschrift sind wir aufgeschmissen. Was sind Spiegel doch für geheimnisvolle und dialektische Werkzeuge! Sie verbreiten gerade da machtvoll und glänzend Falschheiten, wo wir Wahrheiten suchen. Diese tückische Eigenschaft macht sich Alex Lebus zunutze. So lässt sie zum Beispiel das englische Wort „ME“ spiegeln, das sich in einer optischen wie inhaltlichen Verwandlung in ein „WE“ verkehrt. Die schnöde Drehung des Buchstabens „M“ geht mit einer poetischen und fast romantischen Wendung einher. Das „Ich“ hat plötzlich immer schon im „Wir“ gesteckt, wie auch andersherum das „Wir“ erst mit dem „Ich“ entstehen kann: „Ich“ und „Wir“ bedingen einander. Dieser Erkenntnis ist der Betrachter just in dem Moment ausgesetzt, in dem er sich selbst spiegelt, was eine nochmalige Verwirrung darstellt. Ist er in diesem Moment ein „Ich“ oder ein „Wir“? Verliert sich der Einzelne in der Masse, ohne es zu merken – wie in Monty Pythons Film „Das Leben des Brian“, in dem die Menge unisono bestätigt: „Ja, wir sind alle Individuen“? Kann der Betrachter zu einer Erkenntnis gelangen, obwohl der Spiegel lügt? Es sind eben diese verqueren Verwirrungen und Paradoxien, aus denen Alex Lebus ihre Ideen schöpft und die sie – wiederum dem Denkmuster des Kontrastes treu bleibend – in ästhetisch kühler Präzision künstlerisch umsetzt.

 

Schon sind wir bei einem zweiten künstlerischen Mittel, die bei Alex Lebus‘ Arbeiten häufig vorzufinden ist und die ebenfalls dazu dient, Polaritäten aufzuspannen: die Schrift. Sie taucht in verschiedener Weise bei ihr auf, gern in Kombination mit Spiegeln. Stets bearbeitet die Künstlerin alte, bereits benutzte Spiegel, indem sie ihre Rückseiten partiell abkratzt, um beispielsweise Begriffe wie „Lust“, „INOUT“ oder „haute Créature“ hervortreten zu lassen. Mit Holzbeitel, Schleifpapier und Chlor, Essig oder Autopolitur rückt die Künstlerin den industriell gefertigten Oberflächen zu Leibe – Spiegel aus verschiedenen Zeiten erfordern unterschiedliche Behandlungen, die Alex Lebus jedes Mal mühevoll neu erprobt. Wieder stoßen wir hierbei auf ein Gegensatzpaar, nämlich das von Stehenlassen und Abkratzen: Mal wird der Schriftzug entfernt, sodass der Betrachter durch die Buchstaben hindurch hinter den Spiegel schauen kann; mal ist der Schriftzug der spiegelnde Teil, welcher die eigene Form zurückwirft, während die gesamt Restfläche, von der reflektierenden Schicht befreit, zu durchsichtigem Glas wird. Es ist das alte Thema von Figur und Grund, was hier zum Tragen kommt. Dieses Vorgehen entpuppt sich als raffinierter Schachzug. Beim Betrachter gerät auf diese Weise die Gewissheit ins Wanken, was denn nun die Existenz des lesbaren Wortes ausmacht – das Entfernte oder das Verbliebene? Verunsicherungen dieser Art sind Teil des künstlerischen Manövers.

Alex Lebus‘ – bewusst verknappte – Wortauswahl rankt sich um grundsätzliche Fragen des Seins, um Scheinwahrheiten. 2014 bearbeitete sie innerhalb ihres Hegenbarth-Stipendiums einen Spiegel so weit, dass nur noch der Schriftzug „Lust“ stehenblieb. Wie ein Regalboden mit Haltern an der Wand befestigt, ist die geschwungene Schreibschrift so beleuchtet, dass der Wortlaut nach oben gut lesbar an die Wand gespiegelt wird. Dort glänzt die „Lust“ in ihrer ganzen Pracht und Verlockung. Zugleich – und hier offenbart sich wieder die Macht des Widerparts – ergibt sich ein Schattenwurf nach unten. Dort verwandelt sich das Wort in ein unlesbares, wenn auch schönes, gerade in seiner Verfremdung verführerisches Geschlinge. Alex Lebus macht optisch erfahrbar, wie weit das Feld der Lust reicht: vom lichten Vergnügen, dem Genuss und „lustigen“ Spaß bis hin zum „lüsternen“ Begehren und wilden Verlangen. Das Oben und Unten, das Hell-Spiegelnde und Düster-Schattige veranschaulicht die Spannbreite der Empfindung „Lust“ und offenbart, wie ambivalent eine Regung, ein Gefühl sein kann.

Ähnliches spricht sie in einer weiteren Spiegelarbeit von 2014 an, in welcher die Buchstaben „INOUT“ ausgekratzt sind. Der Blick des Betrachters durchdringt das Wort – hinein und durch die Scheibe hindurch wieder hinaus. Lesen und Vollziehen fallen in eins. Dass Alex Lebus auch in diesem Werk nach der Existenz fragt, nach der Beziehung von Mensch und Welt, verblüfft jetzt nicht mehr. Es geht in diesem Fall um das Mit- und Ineinander von „in“ und „out“, von „rein“ und „raus“, das unser Leben bestimmt. Vom Stoffwechsel (Atmen, Essen, Trinken, Ausscheiden) über die Fortpflanzung (Geschlechtsverkehr, Geburt) bis hin zu Gewalt und Krankheit (Verletzungen), besteht unser Alltag aus einem einzigen, stetigen Austausch zwischen Innen und Außen. Das Körperliche wird hier zur Metapher, in der die gesellschaftliche und die politische Dimension mitgedacht und mitempfunden ist.

 

Eine wesentliche dritte Zutat wirft die diplomierte Designerin Alex Lebus in die künstlerische Waagschale: die Ästhetik der glänzenden, auf Verführung getrimmten Konsumwelt. Rabiat polarisiert sie hier und kämpft gegen die Übermacht der Werbeindustrie. Pointiert und mit viel Gespür für Witz und Feinheiten der Gestaltung hat sie etwa das Wort „DUTIER“ in breiten Versalien gesetzt und damit eine Marke geschaffen, die sich mit Kalkül an dem Schriftzug des Modeschöpfers und Parfümherstellers Jean Paul „GAULTIER“ orientiert. Empfänglich für Werbebotschaften und längst den Werbestrategen verfallen, liest der Betrachter mit großer Selbstverständlichkeit ein französisch prononçiertes „Dutier“. Damit ist er Alex Lebus, sicher zu ihrer großen Freude, bereits aufgesessen. Denn eine mitgedachte, kleine, eingeschobene Trennung zwischen „DU“ und „TIER“ verweist jeden Konsumenten von Luxusprodukten auf seinen Platz zurück: Du Tier!, – der Mesnch als Tier. Dass das Parfum nur dem Überdecken eines animalischen Geruchs dient, schwingt in dieser Arbeit selbstverständlich mit. Als Aufkleber und Stempel, aber auch auf Spiegeln produziert, nutzt Alex Lebus die Ästhetik und Verbreitungswege der Werbeindustrie und enttarnt diese so mit ihren eigenen Mitteln. Der Künstlerin gelingt es, dass wir die Parfümmarke plötzlich als „Gaul Tier“ wahrnehmen.

In dieselbe Richtung zielt die Künstlerin in ihrer Spiegelarbeit „haute Créature“. Diesmal ist die edle Maßschneiderei zu Höchstpreisen angesprochen, die „Haute Couture“, die überraschend mit dem zum Verwechseln ähnlichen Begriff der „Créature“ konfrontiert wird. Die hohe Kunst der luxuriösen Bekleidung stößt mit schmerzhafter Wucht auf die „Kreatur“, die oft mit dem Zusatz „armselig“ konnotiert wird; die Kreatur als verächtliche Bezeichnung eines minderwertigen Geschöpfs, das einem Höhergestellten knechtisch ergeben ist. Der Betrachter kann sich dem Beziehungsgeflecht nicht entziehen, ist er als Gespiegelter doch Teil des Kunstwerks: Er ist die Kreatur. Vom höchsten Luxusgut zum elenden Geschöpf, größer kann die Schere einer sozialen Spaltung nicht ausfallen. Doch diese Arbeit wäre nicht von Alex Lebus, wenn nicht noch weitere inhaltliche Verknüpfungen mitgedacht seien. Wird nicht auch der Konsument unterjocht, ist womöglich er der eigentliche Knecht im kapitalistischen Getriebe? Der Clou dieses Werk besteht jedoch in der Doppeldeutigkeit des Wortstammes von „Créature“. Aus dem Lateinischen von „creare“ kommend, schwingt das Kreative mit, das Schaffen und Gestalten. Heimlich hat Alex Lebus ihren eigenen Berufsstand, die Kreativen, in einen bestehenden Begriff eingeschmuggelt, quasi auf den Sockel gehoben und damit nobilitiert: den „haute Créateur“.

 

Auf verschlungenen Pfaden und über Windungen und Schlaufen hinweg begibt sich der Betrachter in Alex Lebus‘ Werken auf eine Entdeckungsreise, die mit vielen Bezügen und Rückbezügen, Abgründen und Höhenflügen überrascht. Die Künstlerin ist rabiat in ihrer konsumkritischen Haltung, klar in ihrem Urteil und energisch in ihrem künstlerischen Wollen. Ihre Arbeiten sind präzise im Handwerk, kühn in der Umsetzung und poetisch in ihrer Wortwahl. In der Auslotung von Gegensätzen sind sie zu gleichen Teilen affirmativ wie subversiv, sie changieren zwischen zynischem Pessimismus und verwegenem Optimismus. Auch hier bleibt sich Alex Lebus treu.

The Place

 

Scattered on the gallery concrete floor are are twenty pieces of mirror. They are various sizes, all rectangular and precisely cut. On each of them, some of the silver backing has been removed to form thick straight lines, connected here and there at sharp or right angles. The configuration looks arbitrary but it is accurately arranged so that these strips of clear glass make up the capital letters H, E, I, M, W, E and H. None of the letters is complete; like the reflections of the architecture selectively framed by the mirrors, they too are only fragments. Despite its strict geometry, simple formal elegance and the exactitude with which it has been laid out, the composition evokes disorder, like a reconstruction of an accident. As an image, it could be a schematic representation of drifting ice floes with the remnants of a wrecked raft, or perhaps it is an unfinished puzzle abandoned in frustration.

 

This is the kind of unstable 'dialectical image' that for Walter Benjamin captured the slippage between the past and the present, 'wherein what has been comes together in a flash with the now to form a constellation.' In this constellation, however, no material traces of the past can be found nor is the past accessible to memory and recollection. Rather, it can be uncovered in the origin and history of the word, where 'Heimweh' is the barely recognisable debris of the collision of nóstos and álgos. What comes together here is, in a sense, a homecoming-in-translation of 'nostalgia' and its transition from a debilitating medical condition diagnosed long ago among Swiss mercenaries to the romantic yearning of poets, artists, lovers and all manner of lost souls, and finally, to the uncurable collective malady of our own times.

 

'Heimweh', says Alex, is one of her favourite words. For all I know, it could even be one of her favourite sentiments. The idea seems perverse. How can anyone cherish the painful psychological effects of displacement and loneliness or the anxiety of loss? But it could be that for an artist homesickness, a longing for a return and reunion, is really the opposite, a form of wanderlust, a desire to escape the binds to a place, the perpetually motivating force that drives the imagination towards distance. It is the prospect of the journey, not the remote destination, that attracts the wanderer and the artist, the mental traveller in an as-if world of speculation. Her longing for a 'home' thrives in the longing itself. It is itself 'the place' that she inhabits and constantly seeks, not a location or site but a state of the mind making a detour.

 

Detour is the operating mode of poetry, the art of diverting words from the straight paths of their conventional uses, meanings and associations. In poetry meanings are meanderings. They take unpredictable turns and spontaneous shortcuts in the labyrinth of language. An act of poetry makes sense but its purpose is not 'communication or the imparting of information'; 'it "tells" very little to those who understand it', to paraphrase Benjamin again. It inspires us to think in ways that bypass knowledge and takes the mind on the road to places to which we have no key.

 

Yet neither it is the purpose of poetry to make us forget facts, let alone to promote ambivalence or offer an absolution from critical thought. In our present reality when homelessness, exile and diaspora touch daily on our lives, when the loss of home is the acute experience of so many, and when so many are prepared to die or kill in the name of phantom homelands, the poetic ambiguity of 'homesickness' is an urgent reminder of how the symbolic vocabulary of identity and identification articulates our sense of 'the place'. Where do you come from? What are you doing here? These are the questions asked of an outsider or ones that could be asked of a lost person. They belong to  those who belong to the place. They separate 'us' from others but they can also transcend difference and obliterate isolation. They can suggest exclusion or a welcome.

 

The Place is not a sanctuary. It offers no escape or safe passage. Its one-word call doesn't demand an answer but it lets me confront what I think and feel. An image of wreckage could be also an image of rescue. An unresolved puzzle, or one that seems to have no solution, could be also an invitation to look again, think again - to start again in a different place.

 

Pavel Büchler 2017

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