< Florian Schmidt: Permutationen und Transformationen 

im Spannungsfeld zwischen Malerei und Skulptur

Florian Schmidts Arbeiten kreisen mit überzeugender Stringenz und Ernsthaftigkeit um die elementaren Fragen der Malerei im Kontext der Bildlichkeit. Mit antipodischen Strategien bearbeitet der Künstler die Grundparameter der Konstitution eines abstrakten Bildes, die sich in seinem Fall sowohl auf zwei- als auch auf dreidimensionale bildhafte Ensembles beziehen: Konstruktivistisch anmutende geo­metrisierende Strenge trifft auf kompositorische Formen­freiheit, Rhythmus und Dynamik auf Ruhe und Ordnung, kapriziöse Leichtigkeit und Reduktion auf Verdichtung und Stabilität der Formen.

 

Die kunsthistorischen Traditionen der Formensprache der Abstraktion durchschreitend und deren Repertoire und Gedankenmaterial vieldeutig reflektierend, widmet Schmidt sich seit Jahren einer wohlüberlegten, sowohl experimentellen als auch konzeptuellen Erforschung kom­positorischer Kombinationen nicht zuletzt um der mitt­lerweile einhundertjährigen Geschichte der Abstraktion ihre formale Schwere auszutreiben und sie für die Gegen­wart zu aktualisieren. Diese Auseinandersetzung nimmt ihren Anfang am Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Pionier(inn)en der Abstraktion wie Ljubow Popowa, dem der suprematistischen Gegenstandslosigkeit verpflichteten Kasimir Malewitsch, den geometrischen Abstraktionen Piet Mondrians oder Theo van Doesburgs oder den abstrakten Kompositionen Wassily Kandinskys. Neben dem ukrainischen Bildhauer Alexander Archipenko ist in diesem Zusammenhang im Bereich der plastischen Abstraktion vor allem der russische Konstruktivist El Lissitzky zu nennen. Mit den Nachkriegsavantgardisten Donald Judd und seinen „specific objects“ sowie Robert Rauschenberg und Jasper Johns mit ihren Assemblagen und Flachreliefs schreibt sich die Genealogie der Abstraktion fort, beispielsweise in den dynamischen, strukturanalytischen Bildentwürfen eines Imi Knoebel in den späten 1960er-Jahren. Zur gleichen Zeit etwa, als der Poststrukturalist Jacques Derrida L’écriture et la différence (1967) publiziert und auf die Bedeutung von Ungesagtem, Nichtsichtbarem wie auf die Wichtigkeit von Leerstellen verweist. Derrida wendet sich gegen die Strukturalisten und ihre Fixierung, Strukturen ein Zentrum zuzuordnen, denn „das Zentrum setzt auch dem Spiel, das es eröffnet und ermöglicht, eine Grenze. […] Im Zentrum ist die Permutation oder Transformation der Elemente […] untersagt […]. Als Zentrum ist es der Punkt, an dem die Substitution der Inhalte, der Elemente, der Terme nicht mehr möglich ist.“¹

 

 Auch bei Florian Schmidt ist eines der signifikantesten Merkmale im Zusammenhang mit Struktur- und Bildfin­dungen das Spiel mit der Simultanität von Offenheit und Geschlossenheit des Bildraums. Die Orte dieser Be- bzw. Abgrenzungen sind im klassisch zweidimensionalen Tafel­bild die Ränder, an denen Ordnungen durchbrochen wer­den, sich Korrespondenzen auftun und damit Perspektiven öffnen oder eben versagt bleiben, wie es ein Totalitätsan­spruch vorgibt, den Derrida kritisiert, wenn er anmerkt, dass das Zentrum „sowohl innerhalb der Struktur als auch außerhalb der Struktur“ liegen kann: „Von dem [Zentrum] also ausgehend […], sind die Wiederholungen, die Substitu­tionen, die Transformationen und die Permutationen immer wieder in eine Geschichte des Sinns das heißt kurzweg in eine Geschichte verstrickt, deren Ursprung stets neu belebt oder deren Ende immer wieder in der Gestalt der Präsenz antizipiert wird.“ Analog zu diesen Vorstellungen greift Schmidt immer wieder bestimmte Elemente und Formen auf, um der Auslotung von Kräfteverhältnissen einen Spiegel vorzusetzen. Dies sowohl im Bereich stereo­metrischer Körper als auch planimetrischer Strukturen. Begegnen wir etwa in der „Immunity“-Serie noch einer konzentrierten Beschränkung auf Ausdehnungsparameter in der zweiten Dimension – wenngleich sich hier wie auch bei früheren Beispielen bereits ein Denken in planimet­rischen Schichten artikuliert und somit eine einheitliche Oberflächenstruktur aufgegeben wird , so stellen sich in den Serien „Presence“ und „Hold“ die bildkonstituierenden Konstanten durch eine offene, spielerische Ausschwei­fung in eine dreidimensionale, durch reliefartige Applika­tionen tektonisch anmutende Komposition dar und zielen auf eine Verräumlichung malerischer Qualitäten ab. Allen Bildthesen gemeinsam ist der vielschichtige und komplexe Umgang mit verschiedenen Materialien und deren unter­schiedliche Kräfte evozierenden, oberflächen- wie raum­spezifischen Manifestationen im Sinn einer Ars combinato­ria. Der Schmidt’sche Dialog zwischen Malerei, Objekt und Skulptur sprengt die Grenzen zwischen den Disziplinen und löst einen faszinierenden Diskurs mit der oftmals irritierten Wahrnehmung der Betrachter(innen) aus. Die bildhaften malerischen Strukturen, Formen, Farben, Lineaturen und Flächen verlassen die geschlossene Formgestalt des Zweidimensionalen und erweitern sich als Bildkörper mit eigenen Qualitäten in den Raum. Damit dehnen sich die Untersuchungsfelder und zugleich die Problemstellungen Schmidts in die Bereiche zwischen Fläche und Raum bzw. zwischen Bild und Struktur aus.

 

Neben dem hohen Stellenwert, den Materialität in Schmidts Werken einnimmt, spielt besonders die Farbe als autonomes künstlerisches Mittel eine zwar zurückhalten­de, jedoch essenzielle Rolle in seinen Kompositionen. Aus der Malerei kommend und ehemals auf „klassischen“ Tafel­bildern arbeitend, versteht der Künstler den spannungs­vollen, delikaten Umgang mit Farben als bildgestaltenden Parameter, wenngleich dieser in seinen aktuellen Arbeiten nicht mehr als subjektiv gesetzter Pinselstrich in Erschei­nung tritt. Schmidts objektivierender Einsatz von Farben, ob durch industriell gefertigte Materialien vorgegeben oder eigenhändig aufgetragen, erzeugt nicht nur eine Illusion von Bewegung, sondern vermag auch in Abhängigkeit von Intensität, Einsatz und Verteilung von Farbflächen räum-liche „Aktion“ hervorzurufen. Gekonnt lässt Schmidt Farb­flächen aufeinandertreffen, die sich miteinander verzahnen oder hart voneinander abgrenzen, Harmonien herstellen oder sich gegenseitiger Spannung aussetzen. Bereits Josef Albers verwies auf die Energien und vor allem die exis­tierenden Korrespondenzen zwischen Farben, auf deren Signal und Wirkung: „In visueller Wahrnehmung wird eine Farbe beinahe niemals als das gesehen, was sie wirklich ist, das heißt als das, was sie physikalisch ist. Dadurch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst.“. Dieser Rele­vanz der Farbe kommt in den experimentellen Erkundun­gen Florian Schmidts der gleiche bedeutende Stellenwert zu wie den Formulierungen der Form. Nicht zuletzt in der „Vereinheitlichung“ von Fragestellungen zu Form und Farbe liegt die Überzeugungskraft seiner Werke. Im Durchdekli­nieren in seiner seriellen, den Produktionsprozess beto­nenden Arbeitsweise, die sich gegen das Kunstwerk als sakrosankte Entität ausspricht, plädiert Schmidt vielmehr für die verschiedenartigen Entitäten, welche die Werke mit all ihren Bezügen auszeichnen.

 

Eine weitere Besonderheit von Florian Schmidts Schaffen ist der Aspekt des archivarischen Arbeitens in dem Sinn, dass sich in den jeweils aktuellen Werken Konzentrate von vorherigen gedanklichen wie materiellen Erfahrungen und Spuren finden. Dieses Faktum, das man auch als Rück­griff auf einen Speicher lesen kann, aus dessen Reservoir sich der Künstler immer wieder bedient, mag eine Genese bzw. ein evolutionäres Prinzip andeuten. Aber gerade eine derartige Werkchronologie wird von Schmidt durch seinen vielfältigen Rekurs auf unterschiedliche frühere Werkpha­sen und materialien ganz gezielt gebrochen und damit aufgehoben. Schmidt geht es bei der Erprobung neuer Konstellationen vielmehr um das Aufzeigen der zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten durch neu festgelegte Struktur­rahmen sowie um Wiederholung zum Zweck der Verände­rung. Ferner geht es ihm darum, die entscheidenden Defi­nitionskriterien wie Farbe, Textur, Material, Form, Maß und deren Relationen zueinander zu überprüfen. Die Präsenta­tion von Bildergruppen Schmidts in Serie offenbart durch die Möglichkeit des Vergleichs auf eindrückliche Weise den Zusammenhang und die Stringenz seiner Konzeption des permanenten

Neu-in-Beziehung-Setzens differenter Ele­mente. Sie zielt auf eine Erweiterung und Verfeinerung der Wahrnehmungsfähigkeit ab. Ins Auge stechen ein Reichtum formaler Nuancen und zahlreicher Valeurs sowie ein Spiel mit den Proportionen unterschiedlicher Formschemata.

 

Möchte man die Rezeption von Schmidts Werk auf ein dominantes bildnerisches Phänomen reduzieren, so geht es letztlich um die Frage des Zusammenklangs bzw. der Aufspaltung von Form- und Farbbezügen, welche die Betrachter(innen) zum Reflektieren über Oberfläche und räumliche Tiefe, über Sein und Schein, Berechenbares und Unberechenbares und nicht zuletzt über Sichtbares und Verborgenes anregen soll. Schmidts vielfältig verflochtene Werkgruppen stehen somit auch als Metapher für die zulänglichkeit des Sehens und damit für die Vielfalt visuel­ler Wirklichkeit. Durch seine Bildmodelle offeriert Schmidt eindrucksvolle Denkweisen und Sehmöglichkeiten und weist die Betrachter(innen) auf die Diskrepanz zwischen Bildfaktum und Bildwirkung hin.

 

Mein herzlicher Dank geht in erster Linie an den Künstler Florian Schmidt, ohne dessen Engagement diese Publika­tion nicht zustande gekommen wäre. Besonderen Dank ver­dient die Kuratorin Stephanie Damianitsch, die mit großer inhaltlicher wie organisatorischer Kompetenz die Konzep­tion des Kataloges in Zusammenarbeit mit dem Künstler verantwortet und neben Joseph Akel einen aufschlussrei­chen Textbeitrag verfasst hat. Christof Nardin zeichnet für die feinfühlige grafische Gestaltung der Publikation sowie Silvia Jaklitsch vom Verlag für moderne Kunst Nürnberg für den internationalen Vertrieb verantwortlich. Den Galerien von Florian Schmidt, allen voran Andreas Huber in Wien sowie der New Galerie in Paris und New York, ist nicht nur für den administrativen Support zu danken, sondern neben dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur und der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich auch für die finanzielle Unterstützung im Zuge der Vorbe­reitung und Drucklegung des Katalogs besonderer Dank auszusprechen.

 

 

¹ Jacques Derrida, „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen“, in: ders., Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 [1967], S. 422 ff.

² Ebd.

³ Josef Albers, zitiert nach Eugen Gomringer, Josef Albers. Das Werk des Malers und Bauhaus­meisters als Beitrag zur visuellen Gestaltung im 20. Jahrhundert, Starnberg: Keller 1968, S. 173.

 

Hans-Peter Wipplinger

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